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Von „billigen Preisen“, Landarbeitern und Auswandereragenten: Migrationsdiskurse in historischen, österreichischen Zeitungen (1850 bis 1950)

Mit Beginn der Industrialisierung im 18. Und 19. Jahrhundert veränderten sich die innereuropäischen und interkontinentalen europäischen Wanderbewegungen dramatisch. Nicht umsonst wurde besonders das 19. Jahrhundert daher auch als das „Jahrhundert der Migration“ oder jenes der „großen Abwanderung“ (Albert Kraler, 2007) bezeichnet. Erstmals gibt es eine „Migrationsindustrie“, die sich mit der Organisation und den Prozessen von Massenmigration beschäftigt und wirtschaftlich floriert. Doch wie gingen Gesellschaften mit diesem Phänomen um? 

Historische Zeitungen sind ideale Untersuchungsgegenstände, wenn es darum geht, nachzuzeichnen, wie Menschen, die zuwanderten bzw. auswanderten, wahrgenommen wurden und wie über sie gesprochen wurde. Zeitungen geben auch Aufschluss darüber, welche Themen die Gesellschaft beschäftigte und welche Ereignisse, wie diskutiert wurden. Die Themen die hier verhandelt wurden, reichen von Zuwanderung über Auswanderung, Exil, Vertreibung bis hin zur Rückwanderung. Berichtet wurde also über Menschen, die freiwillig oder unfreiwillig ihre Heimat verließen, vertrieben wurden, sich anderswo eine neue Lebensgrundlage aufbauten oder wieder in ihre Heimat zurückkehrten.  

Überseemigration, sprich die Auswanderung nach z. B. Amerika, ist eines der wichtigsten Themen in der Berichterstattung über Migration in den Zeitungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Wirtschaftliche Motive aber auch politische Krisen und kriegerische Differenzen waren die zentralen Gründe dafür, warum Menschen das Heimatland verließen. Besonders das 20. Jahrhundert wird nicht zuletzt wegen der zwei Weltkriege, aber auch anderer zwischenstaatlicher Konflikte und nicht zuletzt Bürgerkriege zu Recht auch als das „Jahrhundert der Flüchtlinge“ (Franz Nuscheler, 2004) betrachtet. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Zeitperioden: Während die Auswanderung im 19. Jahrhundert im Allgemeinen freiwillig war, verließen die Menschen im 20. Jahrhundert ihre Heimat oft unfreiwillig.  

Ein ebenfalls wichtiges Thema in den Zeitungen, das im Zusammenhang mit Migration häufig vernachlässigt wird, ist das Thema der Rückkehrmigration, denn nicht wenige der z. B. nach Amerika Ausgewanderten kehrten wieder in ihr Heimatland zurück. Auch in Kriegsgefangenschaft geratene Soldaten, Flüchtlinge oder Vertriebene und deren Rückkehr bzw. Rückführung in ihre Herkunftsorte, waren ein breit diskutiertes Thema in den Zeitungen.

Migration in digitalisierten Zeitungen – mit Begriffen schwer zu fassen

Nachfolgende Grafik zeigt eine grobe Übersicht über die Entwicklung der Begriffe Auswanderer, Einwanderer, Flüchtlinge und Rückwanderer in österreichischen Zeitungen zwischen 1820 und 1920. Diese Begriffe spiegeln nicht das gesamte Spektrum an Migrationsberichterstattung wieder, sie zeigen jedoch deutlich die Unschärfe bei der Nutzung von Begriffen in Zusammenhang mit Wanderungsbewegungen. So verdeutlicht etwa ein Blick in die Zeitungen, dass sich beide Begriffe, Auswanderer und Einwanderer, auf jene Menschen bezogen, die Österreich bzw. Europa den Rücken kehrten, also auswanderten und damit in einem anderen Land einwanderten. Ebenso verschwimmen die Grenzen zwischen Auswander*innen, Flüchtlingen und Rückkehrer*innen regelmäßig. Rückkehrer*innen sind generell begrifflich schwer festzumachen – weil beispielsweise viel häufiger mit Verbkonstruktionen wie zurück … kehrten umschrieben – und bei vielen der genannten Auswanderer oder Flüchtlinge handelt es sich im Grunde um in ihre Herkunftsgemeinden zurückkehrende Flüchtlinge oder Ausgewanderte. Aussagen über das Thema Migration in Zeitungen über die Begriffssuche allein können deshalb nicht gemacht werden, da sie unscharfe Ergebnisse liefern. Andererseits bestätigt die relative Frequenzanalyse genannter Begriffe dennoch bekannte historische Analysen, etwa indem deutlich wird, dass das Sprechen über Flüchtlinge in Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen steht oder aber, dass gerade im 19. Jahrhundert das Thema Auswanderung auch in der österreichischen Presse häufig thematisiert wurde.

Der ewige Dualismus der Migrationsberichterstattung

Wie sieht es aber aus, wenn die Migrationsberichterstattung aus der Nähe betrachtet, also inhaltlich analysiert wird? Wie wird in den Zeitungen über Menschen, die wandern, gesprochen? Festgestellt werden kann, dass das Sprechen über Migration in Zeitungen stets sehr ambivalent war, wie nachfolgende Gegenüberstellungen zeigen sollen. In der Forschung hat sich in diesem Zusammenhang der Ausdruck Dualismus etabliert (Butterwegge, 1999). Dieser Dualismus im Sprechen über Migration ist eine über die Jahrhunderte hinweg konsequent zu beobachtende Konstante: 

Die Auswanderung – Zwischen Werbung und Warnung

Wenn Menschen ihre Heimat freiwillig verlassen, hoffen sie meist auf wirtschaftliche Vorteile. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Auswanderung nach Übersee sowohl für die Zielländer, aber auch für das Herkunftsland zu einem großen Geschäft: konkurrierende Reedereien, Siedlungsgesellschaften, Transportunternehmen etc. Die Zielkolonien selbst warben mit Werbeprospekten, mit Anzeigen in Zeitungen oder mit Agenten um Passagiere und neue Mitbewohner*innen. Geschäfte warben mit Reiseprodukten und Sprachlehrer*innen boten Kurse für Auswanderungslustige an. Zeitungen waren ein ideales Medium, um Werbungen jeglicher Art für all die unterschiedlichen Aspekte zu verbreiten und Auswanderungswillige zu überzeugen. Wie die folgende Werbeanzeige aus der „Feldkircher Zeitung“ vom 7. Mai 1881 wiedergibt, wurde etwa mit „billigsten Preisen“ für Auswanderer*innen nach New York geworben:  

Gleichzeitig wurde in Zeitungen jedoch auch vor dieser Werbung und vor übertriebenen Berichten aus Amerika gewarnt, um eine übermäßige aber vor allem auch unkontrollierte Auswanderung nach Übersee zu verhindern. Diese Mahnungen kamen einerseits direkt aus den Zielländern oder aber auch von lokalen Behörden, die vor allem vor Ausbeutung durch Agenturen aufzuschrecken versuchten. Im „Grazer Tagblatt“ vom 14. Februar 1899 ließ die Deutsche Gesellschaft von Chicago etwa mit der Meldung aufhorchen, dass außer „Landarbeit“ keine Arbeit für ausländische Arbeitssuchende in Amerika zu finden sei:  

(Wichtig für Auswanderer.) Die Deutsche Gesellschaft von Chicago schreibt: „Niemand lasse sich durch übertriebene Berichte über die vermeintlich günstigen Verhältnisse und die angebliche Leichtigkeit, in Amerika Geld zu verdienen, zur Auswanderung verleiten! Wirkliche Landarbeiter ausgenommen, können wir keinem Arbeitsuchenden Hoffnungen machen! Wir wiederholen daher unsere alljährliche Warnung und richten insbesondere an junge Kaufleute, Lehrer, Schreiber, Gelehrte, Beamte und namentlich an Studenten und Offiziere die Mahnung, sich nicht zur Auswanderung nach Amerika zu entschließen! Für diese Klasse von Leuten ist hier durchaus keine Aussicht, weder im nächsten Jahre, noch später!"

Die Zuwanderung - Zwischen Nutzen und Bedrohung

Österreich ist seit den 1960er-Jahren ein Einwanderungsland. Seitdem werden die Debatten um Zuwanderung durch Argumentationen des Nutzens und der Bedrohung begleitet. So steht dem medial weit verbreiteten Bild des Fremden, der als gefährlich und als überflüssig gilt, der manchmal zu bedauern, aber meistens zu beargwöhnen ist, das Bild des willkommenen Gastes gegenüber, der von der lokalen Wirtschaft gebraucht wird. So ist der Fremde einmal nützlich, dann wieder ein Problem, meistens aber beides gleichzeitig.  

Solche Diskurse über Nutzen und Bedrohung von Zugewanderten sind jedoch nichts Neues. Bereits im 19. und 20. Jahrhundert, wenn auch in anderen Kontexten, war die Berichterstattung über Menschen, die aus einem anderen Land zuwanderten, von Diskussionen um Nutzen bzw. Bedrohung für das jeweilige Land begleitet. Ebenfalls wurde damit eine Hierarchie geschaffen, wonach bestimmte Gruppen von Ausländer*innen als Fremde, andere jedoch als willkommen Gäste galten. Die Meldungen über Europäer*innen, die in Amerika einwanderten, ähneln dabei aktuellen Diskursen über Migrant*innen und Flüchtlinge, die nach Europa kommen, frappierend: Das „Grazer Volksblatt“ vom 7. März 1889 druckte etwa Meldungen aus Amerika, in denen Migrant*innen als Bedrohung für die soziale Ordnung wahrgenommen wurden:  

Nordamerika. Die Botschaft des neugewählten Präsidenten Harrison spricht sich zu Gunsten der Fortdauer des schutzzöllnerischen Systemes aus und empfiehlt eine größere Sorgfalt bei den Naturalisationen der Einwanderer. Solche, von welchen eine Last für den Staatsschatz oder eine Bedrohung der sozialen Ordnung zu besorgen wäre, müssten ausgeschlossen werden.  

Das Argument des Nutzens der europäischen Einwander*innen in Amerika ist ebenso mit aktuellen Migrationsdebatten zu vergleichen. Die Zeitung „Das Vaterland“ berichtete am 15. Mai 1881:  

Ein Blick auf die Einwanderer lehrt, daß sie dem Lande einen sehr nützlichen Arbeiterzuwachs zu führen. […] Von dieser werthvollen Arbeiterzahl wurden durch das Arbeitsnachweisebureau 16.533 untergebracht, da von 11.920 in New-York und 3231 in Neu-Jersey. Da diese Arbeiter niedrigere Löhne erhalten, als andere derselben Qualität, so lange sie sich noch nicht auskennen, so zieht New-York und Umgegend hieraus schon einen großen Nutzen. 

Die Rückwanderung – zwischen Förderung und Zurückweisung 

Viele der Menschen, die ihre Heimat freiwillig aufgrund von wirtschaftlichen Krisen oder unfreiwillig aufgrund von Krieg und Verfolgung verließen, kehrten aus unterschiedlichsten Gründen wieder in ihre Heimat zurück: aufgrund von wirtschaftliche Krisen, wegen Heimweh, wegen der Verpflichtung zum Militärdienst, aufgrund von Vertreibung während kriegerischer Auseinandersetzungen oder aufgrund der Bitte von Verwandten. Die Rückkehr selbst wurde häufig vom Herkunftsland unterstützt. So förderte beispielsweise die österreichisch-ungarische Regierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Rückkehr der emigrierten österreichisch-ungarischen Bevölkerung. Diese Maßnahme war auch in den Zeitungen zu finden: Das „Bregenzer Tagblatt“ berichtete am 10. Mai 1913 über die Rückkehr von Amerika-Ausgewanderten nach Österreich-Ungarn:  

Nach Aussage eines Auswandereragenten haben diese Staaten, welchen der Krieg viele Männer entrissen hat, eine große Aktion eingeleitet, um die in Amerika ansässigen Landeskinder zu Heimkehr zu bewegen, was jetzt in größeren Mengen bereits der Fall ist.  

Gleichzeitig gab es aber auch die Ablehnung der Rückkehr von Menschen in ihre Herkunftsgemeinden. Dieser Diskurs wurde von der Angst vor negativen Konsequenzen für das Heimatland begleitet. Gefordert wurde deswegen etwa das Verbot der Rückkehr von bestimmten Gruppen von Rückkehrer*innen. Im folgenden Beispiel aus der „Salzburger Chronik für Stadt und Land“ vom 29. November 1907 wird verlangt, dass nur diejenigen, die genug Geld auf ihrem Bankkonto hätten, zurückkehren dürften: 

Durch die Führer der Genossenschaften ist den Vertrauensmännern in Amerika die strengste Weisung dahin gegeben, daß nur diejenigen zurückkehren sollen, welche in den heimischen Sparkassen so viel Geld haben, daß sie sich damit in der Heimat etwas Grund erwerben können.  

Die Flucht – zwischen Willkommenskultur und Überforderung 

Wenn Menschen aufgrund von Krieg, Terror oder Menschenrechtsverletzungen in für sie fremden Ländern Schutz suchen, zeigt sich grundsätzlich bei der aufnehmenden Bevölkerung ein ambivalentes Bild. Der anfänglichen Hilfsbereitschaft steht schnell die Angst vor einer Überlastung bzw. Überfremdung gegenüber. Auch die zwiespältige Haltung gegenüber Flüchtlingen ist keine Erscheinung des 21. Jahrhunderts. Ausschnitte aus historischen Zeitungen zeigen, dass die Ambivalenz zwischen positiver Willkommenskultur und Überlastung/Überforderung den Diskurs über Flüchtlinge stets begleitete. Die „Banater Deutsche Zeitung“ berichtete am 10.02.1939 etwa, dass europäische Flüchtlinge in Alaska willkommen seien – selbst Jüdinnen und Juden würde man an diesem entlegenen und unwirtlichen Winkel Nordamerikas aufnehmen:  

Nicht selten waren jedoch Meldungen über politische Flüchtlinge jüdischen Glaubensbekenntnisses, selbst wenn sie willkommen geheißen wurden, mit antisemitischen Zuschreibungen versehen.  

Der Hilfsbereitschaft und Willkommenskultur stand die Überforderung gegenüber. Im Wesentlichen wurde dabei auf die wirtschaftliche oder finanzpolitische Überlastung des Staates bzw. des Landes verwiesen, der bzw. das in seiner Fähigkeit, Flüchtlinge mit Unterkünften, Arbeit und Ausbildung zu versorgen, überfordert sei. In der „Jüdischen Korrespondenz“ vom 28. Oktober 1915 konnte etwa gelesen werden:  

Als sich im Vorjahre der Flüchtlingsstrom aus Galizien nach Wien und den westlichen Kronländern so plötzlich und unerwartet ergoßen hatte, stand sowohl die Regierung wie auch alle anderen berufenen Faktoren vor einem schweren Probleme, für dessen Lösung aus der Vergangenheit keine Erfahrungen vorhanden waren. 

Das Sprechen über Migration war und ist vielstimmig, was besonders auch in historischen Zeitungskorpora seinen Niederschlag findet. Wie über Migration gesprochen wird beeinflusst das gesellschaftliche Bild über Zu- und Auswanderung, über Flucht und Rückkehr. Quantifizierende Methoden, wie sie nach wie vor bei der Untersuchung von digitalen Korpora zum State-of-the-art gehören, liefern für solche Fragestellungen zwar ein unvollständiges Bild und können, im Gegenteil, verfälschte und irreführende Ergebnisse liefern, doch oft sind sie die einzige Möglichkeit, große Datenmengen zumindest etwas effizienter in den Griff zu bekommen und so das Sprechen über Migration in breiteren Gesellschaftsschichten nachzuverfolgen. Ein nächster, denkbarer Schritt liegt dabei wohl im Bereich der Visualisierung der Begriffsverteilung und -kombinationen. Dadurch kann mithin zumindest eine schnellere Eingrenzung der Diskurszeiträume gelingen.