Der Blog

Unsere Blogartikel werden von Mitgliedern des Projektteams verfasst. Die Themen umfassen ein breites Spektrum: Bericht über Tagungen, auf denen wir vertreten waren, Reflexionen über aktuelle Herausforderungen und Themen, interne Ergebnisse und Fortschrittsberichte, Case Studies aus dem Bereich der digitalen Geisteswissenschaften, sowie Nachrichten über aktuelle Publikationen aus dem Projekt. Die Blogbeiträge werden hauptsächlich auf Englisch verfasst, ab und zu aber auch in der Sprache des*der Verfasser*in. Wir sind schließlich ein multilinguales Team! Wir wünschen spannende Lektüre.

 

Zeitungen machen Schule: Die didaktische Dimension von NewsEye

Digitalisierte historische Zeitungen stellen nicht nur für Forschende eine ergiebige Quelle dar, auch für Schüler*innen, Studierende und Laien eröffnen sie neue Perspektiven. Auch für diese Gruppen stellt das H2020-Projekt NewsEye didaktisches Material zur Verfügung. In diesem Blog Post schauen wir uns anhand des österreichischen Schulsystems an, wie historische Zeitungen bereits im Unterricht eingesetzt werden, und geben einen Ausblick auf das Material, das im Laufe des Projektes hierzu noch entstehen wird. Selbstverständlich wird es auch für Finnland und Frankreich, die ebenfalls im Projekt vertretenen Länder, eigene Überlegungen und spezielles Material geben. Ein Beitrag von Stefan Hechl und Benedikt Kapferer.

 

Für Lehrpersonen – speziell im Fach Geschichte – sind historische Zeitungen eine wichtige Quelle für den Unterricht. Online-Angebote mit Digitalisaten dieser historischen Zeitungen erleichtern die Vorbereitung auf den Unterricht ungemein: „Ja, wir arbeiten schon längere Zeit mit ANNO. Wir verwenden es für die Unterrichtsvorbereitung, suchen Quellen für den Unterricht aus und bauen diese in den Unterricht ein“, erklären Mag.a Carina Fischer und Mag. Christian Blinzer, Lehrpersonen an der Bildungsanstalt für Elementarpädagogik Sacré Coeur Pressbaum in Niederösterreich. Auch MMag. David Abendstein, Lehrer für Deutsch und Geschichte am Bundesrealgymnasium Schwaz in Tirol, hat bereits positive Erfahrungen mit ANNO gemacht: „Ich habe schon im Studium damit gearbeitet und verwende es auch jetzt zur Unterrichtsvorbereitung – die Suche nach geeigneten Quellen wird durch dieses digitale Angebot natürlich enorm erleichtert.“ Gerade die aktuelle Corona-bedingte Umstellung des Lernens und Lehrens auf virtuellen Betrieb hat generell das Potential digitaler Quellen aufgezeigt, meint Abendstein: „Viele Schulbücher liegen in Online-Versionen vor und verlinken dort neben den auch sonst abgedruckten Quellen auf zusätzliches virtuelles Material, das mit nur einem Knopfdruck erkundet werden kann.“ Ähnlich verhält es sich mit ANNO: Mit nur wenigen Klicks sind Millionen von Seiten aus mehreren Jahrhunderten der österreichischen Pressegeschichte sofort erkundbar.

Zeitungen im Lehrplan

Dass Zeitungen als Quellen in den Geschichteunterricht eingebaut werden, ist kaum verwunderlich – stellen Zeitungen doch nicht zuletzt aufgrund ihres regelmäßigen, oft lang andauernden Erscheinens und ihrer Vielfalt eine wichtige Quellengattung für die neuere und neueste Geschichte dar. Diese Einbindung von Zeitungen in den Geschichteunterricht – egal ob aktuell oder historisch – ist auch durch den österreichischen Lehrplan gedeckt bzw. gefordert: In fast allen dort definierten Kompetenzbereichen lassen sich Anknüpfungspunkte finden, ganz besonders aber scheint die Methodenkompetenz relevant zu sein. Die Schüler*innen sollen hier u. a. lernen, historische Quellen kritisch zu untersuchen, gattungsspezifische Merkmale zu erkennen, sowie gewonnene Informationen zu neuen Darstellungen zusammenzuführen. Im Lehrplan der Unterstufe findet sich sogar ein eigenes Modul zu „Medien und politischer Kommunikation“, in dem über traditionelle und neuere Medien und deren Rolle im Prozess der politischen Meinungsbildung reflektiert wird. Generell können Zeitungen jedoch bei nahezu jedem Thema der neueren und neuesten Geschichte als Quellen dienen. Übrigens: Natürlich ist auch in den französischen und finnischen Lehrplänen die Behandlung von Zeitungen im Unterricht gut verankert.

Was kann NewsEye hier leisten? „Klug zusammengestellte Sammlungen oder Überblicke zu einzelnen Themen oder Schlüsselereignissen der Österreichischen Geschichte oder thematische Sammlungen würden Lehrer*innen das Finden geeigneter Quellen erleichtern“, wünschen sich Carina Fischer und Christian Blinzer. Schließlich gibt es bestimmte Ereignisse der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, die in keiner Jahresplanung fehlen dürfen und bei deren Behandlung sich Zeitungsartikel hervorragend als Quellen eignen. Damit in Verbindung stehen auch Themen der Case Studies unseres Projektes:

  • Nationalismus & Nation-Building
  • Migration im 19. und 20. Jahrhundert
  • Gendergeschichte und Frauenbewegungen

Diese Themen sind jeweils mit einem eigenen Modul im Geschichte-Lehrplan der Unterstufe explizit vertreten und natürlich ebenso in der Oberstufe relevant – weshalb vorbereitetes Material hier für Lehrpersonen sehr hilfreich ist. Angedacht sind speziell Artikelsammlungen, welche zentrale Ereignisse beschreiben und ideologisch oder politisch unterschiedliche Sichtweisen auf diese Entwicklungen verdeutlichen. Auch Leitfragen zur Analyse bzw. Arbeitsblätter werden passend zu den Artikel erstellt, wobei der Fokus im Einklang mit dem Lehrplan auf kritischer Analyse und Dekonstruktion der Texte liegt. Somit wird den Lehrpersonen eine wichtige Hilfestellung bei der Unterrichtsvorbereitung geboten.

Videos und Leitfaden: Material direkt für Schüler*innen

Neben diesen Hilfestellungen für Lehrpersonen soll natürlich auch Material erstellt werden, welches im Unterricht direkt von den Schüler*innen bearbeitet werden kann. In gewisser Weise scheint zwischen Kindern und Jugendlichen und ANNO noch eine Hemmschwelle zu existieren. Woran kann dies liegen? Carina Fischer und Christian Blinzer äußern Vermutungen: „Suchanfragen ergeben oft sehr viele Treffer. Wenngleich verschiedenen Such- und Filteroptionen für geschulte Nutzer*innen sehr hilfreich sind, aus diesen vielen Treffern relevante Quellen zu filtern, kann es für Schüler*innen schwer sein, die Suchfunktion erfolgreich zu nutzen.“ Hier wird NewsEye mit der Erstellung von Screencasts (Erklärvideos) ansetzen, welche als Anleitung für erfolgreiches Suchen und Navigieren in ANNO gedacht sind und sich auf einem altersgerechten Level direkt an die Schüler*innen wenden. Diese Videos, welche von den Schüler*innen kurz und knapp im Unterricht oder in der Vor- und Nachbereitung angeschaut werden können, behandeln verschiedene Fragen:

  • Wie komme ich am schnellsten zu einer bestimmten Zeitung von einem bestimmten Tag?
  • Wie finde ich einen Artikel zu einer bestimmten Person, einem bestimmten Ort?
  • Wie finde ich Artikel zu einem bestimmten Thema?
  • Wie wähle ich passende Suchbegriffe aus?
  • Wie nutze ich die erweiterten Suchfunktionen von ANNO am besten?

Ähnliche Lernvideos soll es natürlich ebenso für das französische Zeitungsportal Retronews/Gallica und das finnische Portal Digi geben. Neben den Screencasts ist auch die Erstellung von Leitfäden für verschiedene Altersgruppen angedacht: Wie für jede andere Quellengattung macht es auch für historische Zeitungstexte Sinn, sich für die Analyse an einem allgemeingültigen Leitfaden zu orientieren, der anhand der Schritte lesen/beschreiben – analysieren/interpretieren – Stellung beziehen aufgebaut ist (siehe unten). Freilich arbeiten viele Lehrer*innen bereits mit solchen Leitfäden bzw. haben selbst welche erstellt – doch für jene, die bisher noch nicht oder wenig mit Zeitungen als Quellen im Unterricht gearbeitet haben, kann das Vorhandensein von möglichst umfangreichem Material die Hemmschwelle für das erste Ausprobieren senken. Auch das ist ein Ziel von NewsEye: Möglichst viele Lehrende vom Potential digitalisierter Zeitungsarchive zu überzeugen und den Einstieg zu erleichtern.

Außerdem können diese Materialien als optionale Unterstützung für Schüler*innen dienen, wenn diese eigenständig mit Zeitungsquellen arbeiten. Carina Fischer und Christian Blinzer streichen als Vorteil dieser eigenständigen Arbeit vor allem das schnelle Erfolgserlebnis heraus, vor allem wenn etwa Lesehilfen für die Frakturschrift verwendet werden: „Es stellt sich, teils auch unter Verwendung von Lesehilfen oder Alphabeten, relativ rasch Erfolg beim Lesen ein. Dass dieses positive Gefühl die Motivation für die Teilhabe am Unterricht steigern kann, scheint folglich nur logisch, womit das Lesen von Quellen in ANNO schon allein aus pädagogischer Sicht gewinnbringender Teil des Geschichtsunterrichts ist.“ Um den Arbeitsprozess der Schüler*innen zu erleichtern, sind Materialien wie die Screencasts oder Leitfäden zur Quellenanalyse also wichtige Unterlagen und werden in unseren Materialpaketen einen dementsprechend prominenten Platz einnehmen.

Von ANNO zu Insta – Zeitungen als altes & neues Medium

Die Einbeziehung von historischen Zeitungen in den Unterricht soll jedoch nicht nur als isoliertes Thema für den Geschichteunterricht gesehen werden – auch das fächerübergreifende Potential von Zeitungen als Quellengattung muss stets mitbedacht werden. David Abendstein sieht vor allem in Deutsch und Geschichte hier mögliche Synergien: „Natürlich sind meine beiden Fächer da ganz besonders gut geeignet. Die Zeitung als Medium und Quelle ist ja ein wichtiger Bestandteil sowohl im Deutsch- als auch im Geschichteunterricht. Spannend ist hier auch der produktive Aspekt: Warum immer nur Zeitungen lesen? Ich habe eine Klasse auch schon einmal eine Titelseite zu einem historischen Ereignis gestalten lassen.“ Der Verein Zeitung in der Schule (ZiS) bietet etwa praktische Tipps für die Rezeption sowie für die Produktion eigener Zeitungstexte und das Erproben journalistischen Schreibens. Mit diversen analogen und digitalen Materialien trägt der Verein dazu bei, die Bedeutung von Zeitungen in der Gegenwart zu vermitteln.

Mitzubedenken ist stets auch die Tatsache, dass den allermeisten Schüler*innen die Zeitung als Quellengattung bzw. als Medium vertraut ist. Die „traditionelle“ Printversion ist in vielen Familien noch vorhanden, aber auch Online-Ausgaben werden genutzt, wenn etwa Mag.a Theresa Hämmerle, Lehrerin für Deutsch, Englisch und Geschichte an der NMS Rattenberg in Tirol Arbeitsaufträge mit Recherchen zu aktuellen Themen vergibt. „Ich beobachte aber auch einen Trend weg von den klassischen Online-Zeitungsangeboten hin zu Information in sozialen Netzwerken wie etwa Instagram, wo Nachrichtenformate wie die Zeit im Bild ebenfalls vertreten sind“, resümiert sie zum Medienwandel, der sich in dieser Altersgruppe vor allem weg von Text und hin zu Bild und Video vollzieht. „Schüler*innen tun sich relativ schwer, die Qualität von Journalismus und von sonstigen Medieninhalten speziell im Internet einzuschätzen. Gerade in Hinblick auf Wahlrecht und politische Partizipation besteht hier natürlich Handlungsbedarf.“ Im österreichischen Fall bildet vor allem die Medienbildung als fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip bzw. das Trainieren von Medienkompetenz eine mögliche Brücke zwischen der Arbeit mit historischen Zeitungen und deren „Nachfolger“, den Nachrichten in digitalen Kanälen bzw. sozialen Medien. Wenn es gelingt, diese Verbindung herzustellen, kann einerseits die Attraktivität historischer Zeitungen als Quellen noch weiter gesteigert sowie die dort erfolgte Arbeit mittels Transferleistungen gewinnbringend auch für die Entwicklung tagesaktueller Medienkompetenz genutzt werden.